Offener Brief unseres Vorstands Bettina Wiebers an die Landtagsabgeordneten des Kreises Soest
So elementar wichtig der Schutz vor Infektionen mit dem neuen Corona-Virus gerade für alte und vorerkrankte Menschen auch sei, Verordnungen und Allgemeinverfügungen für Pflegeeinrichtungen müssten die menschlichen Belange stärker berücksichtigen und vor allem in der Praxis realisierbar sein.
Die CoronaAufnahmeVO ist praktisch nicht umsetzbar und für die Bewohner menschlich nicht zumutbar
Die vor Ostern vom NRW-Innenministerium veröffentlichte CoronaAufnahmeVO sei für viele Altenpflegeeinrichtungen praktisch nicht umsetzbar und für die Bewohner menschlich nicht zumutbar. Dabei gebe es sehr wohl Alternativen zu den dort aufgeführten Maßnahmen. In der neuen Verordnung wird gefordert, in Altenheimen sogenannte Isolations- und Quarantänestationen einzurichten. Käme ein Bewohner aus dem Krankenhaus zurück oder würde aufgenommen aus der Häuslichkeit, soll er 14 Tage lang nicht nur in seinem Zimmer, sondern auf einem ganzen Flurabschnitt in Quarantäne gehalten werden. Ist er sogar positiv getestet, muss er in einen anderen Flur, nämlich die Isolierstation. "Aber was mache ich mit den anderen neun Bewohnern dieses Flures? In den Keller stecken?", fragt Bettina Wiebers. Zusätzlich müssen drei Mitarbeiter exklusiv für den Quarantäne- oder Isolations-Bewohner abgestellt werden, die ihn im Frühdienst, Spätdienst und Nachtdienst versorgen - und zwar exklusiv. Bedeutet im Umkehrschluss: Für die anderen Bewohner steht weniger Personal zu Verfügung.
Bettina Wiebers appelliert an die Politiker, Einfluss auf eine Anpassung der jüngsten Verordnung (CoronaAufnahmeVO) zu nehmen, die es Bewohnern ermöglicht, in Altenpflege-Einrichtungen auch in diesen turbulenten Zeiten menschenwürdig gepflegt zu werden und Pflegekräften ermöglicht, menschenwürdig zu pflegen.
HIER DER KOMPLETTE BRIEF AN DIE LANDTAGSABGEORDNETEN:
Offener Brief an die Landtagsabgeordneten
des Kreises Soest im Landtag NRW
Aktuelle Situation der Pflegedienste und Pflegeeinrichtungen des Caritasverbandes für den Kreis Soest e.V.
Sehr geehrte Frau Stotz,
sehr geehrte Herren,
wir werden in dieser Zeit alle gefordert und leisten unseren Beitrag, die Versorgung von fast 5000 Klienten in der ambulanten, teilstationären und stationären Pflege im Kreis Soest sicher zu stellen.
Wir sind kreativ und einfallsreich, wenn es um den Mangel an Schutzkleidung geht. Die Pflege wurde schlichtweg nicht beachtet während halb leere Krankenhäuser die Materialkammern bereits füllen konnten. Dabei ist die Pflege die erste Stelle an der Infizierte und Verdachtsfälle auftauchen… erst danach geht es ins Krankenhaus.
So haben wir (teilweise zu deutlich überhöhten Preisen) auf legalen Wegen selbst Waren bestellt, die auch nur teilweise ankommen. Seit dieser Woche läuft eine kleine Zuweisung über die WTG-Behörde des Kreises Soest an. Wir sind kreativ: arbeiten in Einweg-Regenponchos in der Pflege, da es auch nach Zuweisung keine Schutzkittel gibt. Wir teilen unseren Mitarbeitern Mundschutz in Wochenration zu. Wir beschäftigen uns damit, dass diese nun auch mit Segen des BAMS und des BMG unter Hitzeeinwirkung dekontaminiert werden können. Kurz: wir verwalten den Mangel.
Immer wieder erhalten wir zahlreiche Angebote von Firmen oder Einzelpersonen, die angeblich Ware beschaffen können. Im Anhang sende ich Ihnen ein Beispiel eines Anbieters zu, der uns ein Angebot am 02.04.2020 und ein weiteres am 04.04.2020 zugeschickt hat. Die Liste und Preise sind selbsterklärend und machen mich fassungslos.
Ich möchte hier nicht über die Seriosität des Anbieters urteilen, bitte Sie aber, diese Probleme stellvertretend für alle Pflegeeinrichtung mitzunehmen in Ihre politische Arbeit dieser Tage.
Und eine weitere große Problematik sehe ich in den Erlassen, Verordnungen und Allgemeinverfügungen für unsere Pflegeinrichtungen.
Was geschieht dort? Alte Menschen dürfen seit Wochen keinen Besuch von Angehörigen mehr empfangen. Nun ja, außer bei der Sterbebegleitung. Aber wer stirbt schon mit klarer Ankündigung? Und wie viele Menschen sterben gerade in unseren Pflegeeinrichtungen, die keinen persönlichen Kontakt mehr haben zu den wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Bei allem wertvollen Einsatz unserer Pflegekräfte können sie diese Lücke nicht füllen.
Und dann kommt eine neue Verordnung (CoronaAufnahmeVO), nach der wir nun also in einer voll ausgelasteten Pflegeeinrichtung Isolier- und Quarantänestationen einrichten sollen. Wir nehmen auf Weisung der Politik also Bewohnern auch noch die eigenen vier Wände - das letzte Stück Vertrautheit - weg, um sie in andere Zimmer zu verlegen, damit ich einen Flur frei habe und mit anderen Bewohnern, die aus dem Krankenhaus zurückkommen, belegen kann? Wie soll das gehen in einer vollbelegten Einrichtung?
Und wer kümmert sich um die Pflegekräfte, die engagiert und unter Einsatz aller Kräfte versuchen, diese Situationen zu meistern und auch mit kreativen Ideen Angehörigen und Bewohnern Kontakte geben via Skype, Facetime und co. Die Einzelbetreuungen in Bewohnerzimmern anbieten, damit der Tag ein wenig Abwechslung hat.
Ach und dann gibt es noch die Anwälte, die das leise Sterben von alten Menschen dazu nutzen, die Pflegeeinrichtung auf fahrlässige Tötung zu verklagen… mir fehlen die Worte.
Darüber hinaus gilt die Verordnung "…sinngemäß für anbieterverantwortete Wohngemeinschaften…" - hier hat der Nutzer der Wohngemeinschaft den Wohnraum gemietet, eine Verlegung ist insofern allein rechtlich eher fragwürdig.
Da hilft auch keine Prämie, die Pflegekräfte richtigerweise (!) erhalten sollen. Orientiert an ihrer Profession sind sie mal für etwas ganz anderes angetreten, aber nicht dafür, die Persönlichkeitsrechte der zu Pflegenden dermaßen einzuschränken, wie es nun auch noch mit der neuen Verordnung erfolgen soll.
Ich appelliere daher an Sie, Einfluss auf eine Anpassung der Verordnung zu nehmen, die es Bewohnern ermöglicht, in unseren Einrichtungen auch in diesen turbulenten Zeiten menschenwürdig gepflegt zu werden und Pflegekräften ermöglicht, menschenwürdig zu pflegen.
Mit freundlichen Grüßen
Bettina Wiebers
Vorstand
Caritasverband für den Kreis Soest e.V.